Interview „2024 wird es kleine Schritte hin zu einer Markterholung geben.”

Zitat „2024 wird es kleine Schritte hin zu einer Markterholung geben“

Was macht die Arbeit als Bewerterin oder Bewerter interessant?
Eric Reuter: Ich wollte keine reine Bürotätigkeit und als Immobiliengutachter ist man sehr viel unterwegs, um die Objekte vor Ort zu besichtigen. Geografisch gibt es keine Grenzen und auch nicht bei den einzelnen Immobilienarten. Das macht meine Arbeit sehr spannend und abwechslungsreich. Dabei sind Immobilien immer greifbar, hier arbeiten und leben Menschen. Außerdem ist die Erstellung der Gutachten alleine deshalb interessant, weil man als Gutachter sowohl die technischen Aspekte im Blick haben muss, wie auch die kaufmännische Seite.

Nach welchen Methoden bewerten Sie die Immobilien?
Carsten Fritsch: Grundsätzlich gehen wir nach den in Deutschland normierten Verfahren der Immobilienwertermittlungsverordnung vor. Bei renditeorientierten Immobilien kommt somit überwiegend das Ertragswertverfahren zum Einsatz. Natürlich werden auch Sachwertverfahren und Vergleichswert-Methoden angewendet, wo sinnvoll oder erforderlich. Mitunter gibt es auch regulatorische Vorgaben einzelner Kunden, die es zu beachten gilt. Das kann dann beispielsweise bei den Offenen Immobilienfonds im Rahmen des KAGB auch bedeuten, dass wir das Ertragswertverfahren nach der Immobilienwertermittlungsverordnung anwenden und zusätzlich das in den USA und Großbritannien dominierende DCF-Verfahren zu Plausibilisierungszwecken ergänzend durchführen.

Wie war die Bewertungssituation in den letzten 12 Monaten?
Eric Reuter: Ganz unterschiedlich. Die Stimmung in der Immobilienbranche ist tatsächlich schlecht. Die hohen Finanzierungszinsen, die gestiegenen Baukosten, die Kosten im Bereich ESG und die schwache Konjunktur haben seit Mitte 2022 die Transaktionen an den deutschen Märkten zusammenbrechen lassen. Das macht eine Bewertung für uns sehr schwierig, weil Vergleichswerte fehlen. Die Herausforderung liegt also darin, Marktpreise zu ermitteln, obwohl der Markt keine Vergleichstransaktionen dazu liefert. Dieser Punkt ist entscheidend, denn Gutachter müssen ihre Ableitungen grundsätzlich aus Feststellungen und belegbaren Fakten vornehmen, nicht aus Vermutungen.

Wie wirkt sich die Wirtschaftslage im Detail auf die Preise aus?
Carsten Fritsch: Die Verkäuferseite akzeptiert derzeit nur widerwillig Preiskorrekturen nach unten während die Käufer angesichts der hohen Zinsen darauf angewiesen sind zu deutlich günstigeren Faktoren zu investieren. Es braucht hier noch Zeit bis sich beide Seiten soweit angenähert haben, dass sich wieder ein akzeptierter Marktpreis bildet.

Gibt es auch positive Entwicklungen an den Märkten?
Eric Reuter: Die beschriebene Preisfindung hat bereits eingesetzt, insofern nähern sich Verkäufer und Käufer langsam an und es kommt wieder etwas Bewegung in den Markt. Positiv ist auch die Situation im Wohnimmobilien-Segment mit der weiterhin starken Nachfrage im Eigennutzersegment, wobei aufgrund der gestiegenen Finanzierungskonditionen ein Wechsel vom Käufersegment auf das Mietersegment stattgefunden hat. Dieser Umstand führte zu steigenden Mieten. Hilfreich war im Vergleich zu vorhergehenden Krisen, dass wir dieses Mal mit einem sehr geringen Leerstand und relativ überschaubarem Volumen von Objekten im Bau in den Abschwung gekommen sind.

Vor welchen strukturellen Herausforderungen steht die Bewertungsbranche?
Carsten Fritsch: Größte aktuell diskutierte Herausforderung ist der Umgang mit ESG-Merkmalen von Immobilien. Bislang sind am Markt noch keine Kennziffern abgeleitet, die zu belastbar nachvollziehbaren Wertkorrekturen verwendet werden können. Wir gehen derzeit davon aus, dass die implizite Berücksichtigung von ESG-Kriterien beispielsweise in der Miethöhe, den Bewirtschaftungskosten und letztlich auch der Renditeerwartung zu adäquaten Ergebnissen führt. Mittlerweile sehen wir Tendenzen, wonach anstatt eines Zuschlags für nachhaltige Assets eher ein Wertabschlag für nicht oder wenig nachhaltige Immobilien marktgerecht scheint.

Weitere Herausforderungen werden der Umgang mit KI sein sowie die Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Fachkräften. Ob diese dann anteilig im Homeoffice arbeiten oder weiterhin Bürofläche in vollem Umfang zur Verfügung zu stellen ist, wird die Entwicklung der nächsten Monate/Jahre zeigen.

Wie spielt die Digitalisierung und das Thema KI in Bewertungen hinein?
Eric Reuter: Bei der Bewertung hat die Digitalisierung bereits seit einiger Zeit Einzug gehalten, auch KI ist bereits im Einsatz. Für Standardobjekte werden bereits heute durchaus brauchbare Gutachten teils automatisiert erstellt. Für gerichtsfeste Gutachten zu komplexeren Immobilien braucht es allerdings auf lange Sicht Gutachter mit einem großen Erfahrungsschatz. Das liegt vor allem an der Individualität von Immobilien. Hinzu kommt, dass KI zwingend optimale Vergleichsdaten braucht und damit in schwierigen Marktphasen wie aktuell kaum einsetzbar ist. Kurz: Menschen werden als Gutachter auf absehbare Zeit das letzte Wort haben.

Was ist Ihr Ausblick für die europäischen Immobilienmärkte in 2024?
Carsten Fritsch: Die Märkte sind in ganz Europa in einer Preiskorrekturphase, wobei allerdings größere Korrekturen im Bereich Büroimmobilien und Logistik stattfinden. Die Akteure haben sich hier bereits auf den Weg gemacht und wir erwarten auch konjunkturell eine gewisse Entspannung mit positiven Auswirkungen auf die Immobilienmärkte und dort speziell auf die Transaktionsvolumina. 2024 wird vermutlich ein Jahr der Trendumkehr mit kleinen Schritten hin zu einer Markterholung.

Carsten Fritsch MRICS hat sich nach seiner Ausbildung zum Handelsfachwirt zunächst auf Projektentwicklungen spezialisiert. Seine Expertise unterstreichen Abschlüsse als Immobilienökonom ebs und Diplom-Sachverständiger DIA. Zudem ist er öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken und Mitglied der Frankfurter Immobilienbörse.

Eric Reuter MRICS ist öffentlich bestellter und vereidigter Immobiliengutachter. Er war nach seinem Studium mit Masterabschluss in Real Estate Valuation zunächst freiberuflich als Gutachter aktiv. Danach war er 7 Jahre bei der Deka Immobilien beschäftigt, zuerst im Team Immobilienbewertung und zuletzt als Investment Manager. Seit 2016 ist er Dozent an der TU Darmstadt für die Module Beleihungswertermittlung und Wertermittlung gewerblich genutzter Immobilien. Seit 2023 ist er neu bei Fritsch REVAC.