Artikel: „Indexierte Mieten, Fluch und Segen zugleich? Einfluss auf die Bewertung von Immobilien“

Indexierte Mieten, Fluch und Segen zugleich? Einfluss auf die Bewertung von Immobilien

Vor der Zins-/Inflationskrise war die Welt noch in Ordnung. Die Immobilienwerte zeigten über viele Jahre eine stetige, teilweise rasante Wertentwicklung nach oben, beschleunigt von gleichzeitigem Einfluss aus Renditekompression und marktbedingt steigenden Mieten.

Als im ersten Halbjahr 2022 die Renditekompression endgültig vorbei war, wurden von allen Marktteilnehmern sinkende Immobilienwerte erwartet. Jedoch ist der Verbraucherpreisindex von Januar 2022 bis April 2024 um rund 14 Prozentpunkte gestiegen, stärker als im gesamten Zeitraum 2010 bis 2020. Das war zumindest aus Sicht der Bestandshalter erfreulich, da die rasant ansteigende Inflation mittels Mietindexierungen den rapide gestiegenen Renditen stark kompensatorisch entgegengewirkte und damit die Verkehrswerte weitestgehend stabilisierte. Am Markt tauchen Hoffnungsschimmer auf, dass der völlig eingetrocknete Transaktionsmarkt sich langsam wiederbelebt und zur Preisstabilität zurückfindet. Der Spread zwischen Immobilienspitzenrenditen und Bundesanleihen sowie Tagesgeldzinsen ist wieder vorhanden und es besteht darüber hinaus Hoffnung auf alsbaldige Zinssenkungen der EZB im Juni 2024. Erste messbare Anzeichen für eine Wiederbelebung des Marktes sind an der Anzahl der Neuankäufe und damit verbundenen Ankaufsgutachten zu erkennen.

Wenngleich der massive Renditeanstieg der Vergangenheit zunächst deutlich gebremst zu sein scheint, so ist im Vergleich zum Vorjahr jedoch noch kein Stillstand zu verzeichnen. Anders als im Vorjahr entfallen nunmehr aber die Kompensationen durch indexbedingte Mietsteigerungen, denn die allermeisten Mietverträge dürften jüngst angepasst worden sein oder können im Zuge der aktuell deutlich niedrigeren Inflationsrate fortan nur noch geringfügig erhöht werden, sodass der Einfluss auf die Wertentwicklung voraussichtlich als eher gering zu erwarten ist.

Die gestiegenen Mieten sind in mehrfacher Hinsicht indes problematisch.

  1. Indexangepasste Mieten erreichen mitunter ein Niveau im oberen Bereich der als noch marktüblich zu bewertenden Mieten, liegen teilweise auch schon darüber im Overrent-Bereich.
  2. Das hohe Mietniveau im Wohnungsbereich, in dem auch indexierte Mietverträge vorzufinden sind, führt mitunter zu existenzbedrohenden sozialen Härten bzw. zu weiteren Verdrängungseffekten von Haushalten mit mittleren und niedrigen Einkommen aus gefragten Lagen.
  3. Die vertragskonform angepassten Mieten sind nicht in jedem Geschäftsmodell der gewerblichen Mieter tragbar. Insbesondere im Bereich der Gastronomie und des Einzelhandels sind eine Reihe von Betriebsschließungen zu beobachten. Im Bürobereich sind Flächenkonsolidierungen (gepaart mit hohen Homeoffice-Quoten) die Folge.

Zur Beibehaltung stabiler Cashflows gilt es aus Sicht der Vermieter kosten- und risikoreiche Neuvermietungsprozesse möglichst zu vermeiden. Das Verhalten der Vermieter ist insoweit sehr unterschiedlich.

Einer Befragung des Einzelhandelsinstituts EHI aus dem Februar 2023 zufolge haben im Bereich der Handelsimmobilien rund 79% der Vermieter die vereinbarten Indexerhöhungen vollständig realisiert. Individuelle Lösungen als Kompromiss des Interessenausgleichs waren ein teilweiser oder vollständiger Verzicht auf Indexanpassungen, wobei Letzteres eher als Ausnahme berichtet wurde.

Aus Sicht der Immobilienbewertung erfährt das über Jahre angelernte Gefühl für das Zusammenspiel von Rendite und Miethöhe neue Facetten. Eine zentrale Fragestellung lautet:

Welche Rendite passt zu den erhöhten Mieten?

In der Systematik der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) werden Ertragsströme über die Restnutzungsdauer einer Immobilie kapitalisiert, anders als im internationalen Vergleich, wo Erträge auf unbestimmte Zeit, mithin unendlich konstatiert werden. Bei gleichbleibendem Kapitalisierungszinssatz führt somit allein die Verkürzung der Restnutzungsdauer um ein Jahr im Wege der jährlichen Nachbewertung zu einem Renditeanstieg bei ansonsten vollständig unveränderten Rahmenbedingungen.

Der Markt wünscht sich ein Zurück zu stabilen Verhältnissen. Für die Bewerter liegt das Augenmerk in diesen Zeiten auf einem besonders sensiblen Umgang mit der Auswahl des angemessenen Kapitalisierungszinses und der marktüblichen Miete.

Carsten Fritsch
Geschäftsführer
Fritsch REVAC GmbH