Aktuell sind keine einfachen Zeiten für Immobilienbewerter?
Ja, durchaus, speziell die valide Bewertung der Immobilienmärkte ist eine große Herausforderung, auch für einige jüngere Immobilienbewerter, für die es die erste Krisensituation ist. Ältere Immobilienbewerter können sich noch gut an die Finanzkrise 2008 erinnern. Damals hatten wir ebenfalls kaum valide Zahlen zum Markt, wobei Schätzen nach dem Motto „Was würde der Käufer bezahlen?“ nie eine Option sein kann.
Was sind aktuell die größten Herausforderungen des Marktes?
Wir haben nach wie vor eine Differenz zwischen Angebots- und Nachfragepreis und die ist größer als die realistischen, marktgerechten Verkehrswerte. Das Problem ist dabei, es gibt viel zu wenig freihändige Verkäufe. Man könnte auch sagen, Notverkäufe treffen auf Schnäppchenjäger. Insofern sind wir in den meisten Assetklassen von sonst üblichen für Vergleichspreise normalen Marktverläufen entfernt. Es fehlen einfach der „Willing Buyer“ und der „Willing Seller“.
Wann wird sich diese Marktsituation wieder hin zum Positiven drehen?
Im Moment sind wir in einer Zeit der antizyklischen Investoren mit viel Eigenkapital. Von dieser Gruppe gibt es aber nicht viele und das Gros der Anleger hält sich aktuell zurück. Spätestens 2025/2026 werden sich allerdings viele dieser passiven Investoren fragen: Warum haben wir 2024 nicht gekauft? Es fehlt einfach an einer distanzierten, rationellen Betrachtung. Hektik ist jedenfalls sowohl für Verkäufer wie Verkäufer derzeit kein guter Berater.
Wie ist die Lage in den einzelnen Immobiliensektoren?
Positiv ist die Situation im Einzelhandel bei Nahversorgungs- und Fachmarktzentren sowie bei Discountern und generell Immobilien mit Lebensmitteleinzelhandel. Sie haben über die letzten Krisenjahre eine überdurchschnittliche Solidität gezeigt. Interessant ist dabei, der stationäre Einzelhandel erlebt derzeit beispielsweise in den USA einen Aufschwung, die Leute wollen wieder das reale Shopping-Erlebnis. Dabei werden langfristig die Shopping-Center attraktiv bleiben, die eine exzellente Verkehrsanbindung haben und zusätzliche Magneten wie beispielsweise ein Arztpraxen- und Gesundheitsangebot. Auch Hotel-Immobilien haben sich sehr gut von der Pandemie erholt und liegen aktuell ebenfalls stabil.
Wie sieht es im Wohnsegment aus?
Wohnimmobilien sind extrem von Entscheidungen der Politik abhängig. Dennoch ist das Segment recht stabil, da die Mieternachfrage in vielen Städten und Ballungszentren hoch ist und auf absehbare Zeit hoch bleiben wird. Solche Mietsteigerungspotentiale stabilisieren die Werte. In Summe sind Wohnimmobilien vergleichsweise solide und haben deutlich weniger Probleme, da sie in der Regel über eine hohe Mieternachfrage verfügen.
Was macht das Sorgenkind Büroimmobilie?
Wir haben hier in der Tat massive Einbrüche bei der Flächennachfrage, insbesondere bei älteren Objekten in B-Lagen. Verursacht zunächst durch die Pandemie und aktuell aufgrund des Konjunktureinbruchs. Hinzu kommt die Herausforderung Homeoffice. Aber nicht alle haben eine Möglichkeit der Heimarbeit oder gar ein extra Zimmer dafür. Das erklärt unter anderem, warum neben kulturellen Unterschieden in einigen Standorten, beispielsweise in London, nahezu alle wieder zurück in den Unternehmensbüros sind. Eine ähnliche Situation gilt für fast ganz Asien. In Europa sind auch die Büroarbeiter in Oslo zurück, während in Paris alleine aufgrund der großen Anfahrtsstrecken für Pendler viele das Homeoffice vorziehen.
Ist also Homeoffice der Dreh- und Angelpunkt für die Zukunft der Büroimmobilien?
Man darf beim Blick auf die Büroimmobilien-Zukunft das Thema Homeoffice nicht zu hoch aufhängen. Entscheidend ist eher, nimmt die Zahl der Büroarbeiter zu oder nicht? Wichtiger als die Sondereffekte durch das Homeoffice sind die politischen Rahmenbedingungen und vor allem die wirtschaftliche Entwicklung. Ein Trend zeigt sich allerdings bereits aktuell: Bessere Lagen und vor allem bessere Immobilien mit modernen, ESG-gerechten Bürokonzepten haben die Nase vorn. Das sehen wir auch bei den Anmietungen. Die Unternehmen sparen zwar an der nominalen Fläche, dafür setzen sie auf kleinere Flächen mit höherer Qualität und in besseren Lagen.
Welche Faktoren könnten den Markt positiv beeinflussen
Vor allem bessere Nachrichten aus der Wirtschaft! Denn das Problem ist die Multi-Krisen-Situation mit gleich einer Vielzahl an exogenen Schocks. Genauso gibt es aber auch exogene Positiv-Faktoren. Dazu zählen eine ansteigende Konjunktur in vielen G20 Ländern, zu denen wir leider derzeit nicht oder noch nicht gehören. Auch eine Entspannung bei den Fremdkapitalzinsen könnte einen Positiv-Sog befördern.
Werden Immobilien ohne ESG-Anspruch zukünftig noch Chancen haben?
Typische Immobilien für Großinvestoren im höheren zweistelligen oder dreistelligen Millionen-Bereich haben bereits heute ohne ein hohes ESG-Niveau kaum noch eine Chance am Markt und erst recht keine Zukunft. Kleinere Immobilien im niedrigen zweistelligen oder einstelligen Millionen-Bereich finden hingegen immer noch Käufer wie Family Offices, da diese oft nicht die gleichen ESG-Ansprüche stellen, die laufende Ertragskraft liegt da eher im Fokus.
Sind Sie privat auch Immobilienfan? Haben Sie eine Lieblingsimmobilie?
Ich war bereits mit jungen Jahren in der Immobilienbranche und habe mein erstes vermietetes Objekt mit 27 Jahren gekauft. Nach wenigen Jahren konnte ich es mit Gewinn wieder veräußern. Auch kleinere Projekte habe ich selbst gemanagt. Heute ist allerdings meine absolute Lieblingsimmobilie unser Landhaus in einem wunderschönen Dorf in der Südpfalz.
Über Birger Ehrenberg
Birger Ehrenberg FRICS ist studierter Betriebswirt und geschäftsführender Gesellschafter der Immobilienbewertungsgesellschaft ENA-Experts. Er entwickelte gemeinsam mit Partnern aus dem Ein-Mann-Büro die international tätige Bewertungsgesellschaft mit rund 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Neben verschiedenen ehrenamtlichen Tätigkeiten, zum Beispiel als Präsidiumsmitglied beim ZIA, war er Vorsitzender des Bundesverbandes der Immobilien-Investment-Sachverständigen (BIIS). Aktuell ist er unter anderem als Dozent (ebs Universität) und als Stiftungsvorstand aktiv.