Interview „Investoren sollten ihre Portfolien noch viel stärker diversifizieren“

Interview mit Prof. Dr. Thorsten Polleit

für die bii Institutional News

Zitat „Investoren sollten ihre Portfolien noch viel stärker diversifizieren“

Sie waren viele Jahre Chefvolkswirt der Degussa. Was machen Sie aktuell?
Ich halte Vorlesungen und Seminare an der Universität Bayreuth. Zudem bin ich in leitender Funktion des 2012 gegründeten Ludwig von Mises Institut Deutschland tätig, das die Lehre der Freiheit, des Friedens und des Wohlstandes verbreitet. Auch nehme ich einige Beratungsmandate wahr.

Die Inflation sinkt, die Volkswirtschaften erholen sich und die Börsen brechen Rekorde. Es geht offenbar aufwärts oder täuscht der Eindruck?
Die Inflation nimmt in der Tat ab – gemessen an den offiziellen Preisindices. Ein entscheidender Grund dafür ist die Reduzierung der Geldmengen in der gesamten OECD. Das verursacht einen Abwärtsdruck auf die Inflation. Auch im Euro-Raum können wir das feststellen, so lag hier die Inflation zuletzt bei 2,6% und sie sinkt weiter. Ein zusätzlicher Grund für die treibende Geldmengenabschwächung ist die seit Sommer 2023 anhaltende Erlahmung der Kreditvergabe durch die Banken. Ich gehe davon aus, dass die Inflation weiter zurückgeht. Das bedeutet, Zinssenkungen werden immer wahrscheinlicher. Der Markt geht auch davon aus, was sich auch in den deutlich steigenden Börsenkursen zeigt.

Das Bild sinkender Geldmengen gilt auch für die USA?
Ja, auch hier schrumpft die Geldmenge M2 damit auch die Inflation, zumindest für die kommenden Monaten. Ich gebe an dieser Stelle allerdings zu bedenken, dass die Notenbanken gerade für neue Probleme sorgen. Oft werden sie ja als Retter in der Not dargestellt. Tatsächlich sind sie ein Problem, weil sie bei ihrer Zinssetzung vor allem auf die Inflationsentwicklung blicken. Dadurch verlieren die Notenbanken die Faktoren, die die Inflation mit einer Zeitverzögerung bestimmen, aus dem Blick – wie vor allem die Geldmengenentwicklung. Damit reagieren sie vielfach zu spät und verursachen so Wirtschaftsstörungen und Inflationsschübe.

Wann werden wir die ersten Zinssenkungen der Notenbanken sehen?
Derzeit scheint der Druck, die Zinsen zu senken, auf die EZB größer zu sein als der auf die FED. Die Inflation in Europa ist niedriger und gleichzeitig entwickelt sich die Konjunktur deutlich verhaltener als in den USA. Das alles hat jedoch etwas von einem Tanz auf dem Vulkan: Es braut sich etwas Unerfreuliches zusammen. Die Staatsschulden sind zu hoch, wachsen übermäßig, und das führt künftig zu großen Problemen.

Wie beurteilen Sie die Lage an den Kapitalmärkten für institutionelle Investoren in diesem Jahr?
Für Investoren ist es wichtiger denn je, unter die Oberfläche zu schauen. Denn auch wenn die Zinsen abgesenkt werden, bleiben die Risiken eines auf Pump finanzieren privaten Konsums und vor allem der unsoliden Staatsfinanzen. Im Grunde kommt das Schuldgeldsystem gar nicht mehr mit erhöhten Zinsen zurecht. Die inverse Zinsstruktur in den USA und Europa setzt den Bankensektor unter Druck, die Bankkreditvergabe erlahmt, das wird die Konjunktur treffen.

Was heißt das konkret für die Anlagestrategie der institutionellen Investoren?
Die Risiken werden weltweit immer unübersichtlicher, die Fragilität des Finanzsystems nimmt zu. Für institutionelle Investoren ist und bleibt zum Beispiel die Diversifikation ein wichtiges Instrument, um eine angemessene Rendite bei Begrenzung der Risiken erzielen zu können. Zudem wird es wichtiger werden, auf die Erzielung einer angemessenen realen, das heisst inflationsbereinigten Rendite des Portfolios hinzuarbeiten. Die Orientierung allein an der nominalen Rendite wird im Wettbewerb vermutlich bald nicht mehr ausreichen.

Sind Edelmetallanlagen hier eine gute Ergänzung?
Das kommt auf den Anleger an. Es gibt institutionelle, die einen laufenden, stetigen Cash-Flow erzielen wollen, und für die sind Gold und Silber eher nicht interessant. Aber Anleger, die eine Versicherung ihrers Portfolios vor Inflation, Zahlungsausfällen und System-Crash suchen, haben Grund, auf Gold und Silber zu setzen. Zumindest erbringt Gold schon seit Jahrtausenden den Beweis des Vermögenserhalts und -aufbaus. Grundsätzlich bin ich übrigens Crypto-Einheiten nicht ablehend gegenüber eingestellt. Es handelt sich ja um einen modernen Versuch, einen Ersatz für das ungedeckte Papiergeld zu finden, und das ist ein produktives Vorhaben. Aber der Beleg für die Erwartungen an diese Stabilität und Sicherungsfunktion müssen Kryptoeinheiten erst noch erbringen. Das spekulative Element in der Preisfindung ist enorm.

Was raten Sie insgesamt institutionellen Investoren mit Blick auf das Jahr 2024?
Wir leben in einer Zeit der Umbrüche, der unerwarteten Überraschungen; es ist wenig empfehlenswert, Modelle der Vergangenheit auf die Zukunft zu übertragen. Doch konkret gesprochen: Die Preisinflation auf den Asset-Märkten kehrt zurück. Die Inflation der Konsumgüter macht derzeit eine Atempause, sie kommt aber wieder. Das reicht aber aus, dass die Notenbanken die Zinsen ab dem zweiten Quartal absenken, die Langfristzinsen folgen dieser Vorgabe. Der Bull-Aktienmarkt wird daher wohl noch anhalten, und es gibt auch gute Erholungschancen bei den Immobilien. Insgesamt also inflationär, das alles!

Wie und wo tanken Sie Kraft für neue Sichtweisen und Einschätzungen?
Meine Familie ist meine Hauptkraftquelle. Ich lese viel, gern ältere Bücher zur Geschichte und Philosophie. Über die Jahre hinweg hat sich für mich ein großes internationales Netzwerk herausgebildet. Hier tausche ich mich intensiv aus, insbesondere mit Menschen, die andere und auch gegensätzliche Meinung haben.

Über Prof. Dr. Thorsten Polleit
Professor Dr. Thorsten Polleit studierte Wirtschaftswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität und promovierte dort zum Thema Geld und Währung. Nach Stationen u.a. bei der ABN Amro und Barclays Capital arbeitete er bis Ende 2023 als Chefvolkswirt bei der Degussa. Neben der Beratung institutioneller Investoren ist er unter anderem Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth. Zudem ist er Gründer und Präsident des Ludwig von Mises Instituts Deutschland.