Die Hannoverschen Kassen sind ein preisgekrönter institutioneller Anleger, wenn es um Nachhaltigkeit und ESG-Faktoren geht. Die Anlagechefin der Pensionseinrichtung, Jana Desirée Wunderlich, spricht über ihren Werdegang, Auszeichnungen für das Team – und ihr anspruchsvollstes Projekt.
Bund Institutioneller Investoren: Frau Wunderlich, Sie sind Bankkauffrau, Immobilienfachwirtin und Betriebswirtin (BA) und tragen mit Ihren Anlageentscheidungen sehr große Verantwortung. Wer oder was hat Sie bei der Berufswahl beeinflusst?
Jana Desirée Wunderlich: Es gibt viele Menschen, die mich auf meinem Weg inspiriert und begleitet haben, die ihr Wissen mit mir geteilt und an mich geglaubt haben. Diesen Menschen bin ich unglaublich dankbar. Auch als ich mir die kritische Frage gestellt habe, ob das Vertriebskonzept und der Umgang mit Mitarbeitern und Kunden in einer konventionellen Bank nicht auch anders gehen kann, gab es Menschen, die mich bestärkt haben, einen anderen Weg zu wählen und nur noch Investitionen mit Sinn zu tätigen.
Die Hannoverschen Kassen sind ein besonders anspruchsvoller Großanleger. Ins Portfolio kommen nur Anlagen, die Ihren Kriterien für Nachhaltigkeit standhalten. Wo setzen Sie die Prioritäten?
Wunderlich: Die oberste Priorität hat ganz klar die dauerhafte Erfüllung unserer Versorgungszusagen durch Ausgewogenheit von Sicherheit und Ertragskraft. Neben der dienenden Funktion der Kapitalanlagenseite zur Erfüllung der Versorgungszusagen der Versicherungsseite leistet die Kapitalanlage einen eigenständigen Beitrag zum Unternehmenserfolg, indem sie auf die Werte und Bedürfnisse der Mitglieder beziehungsweise Kundinnen und Kunden ausgerichtet ist. Und unseren Mitgliedern ist eine andere Wirtschaft, die nachhaltig, verantwortungsvoll und resilient ist, enorm wichtig.
Im Jahr 2018 wurden die Hannoverschen Kassen vom Fachmagazin „portfolio institutionell“ als bester nachhaltiger Investor gewürdigt. Vor Kurzem kam der ESG Pension Award der Pensions-Akademie hinzu. Was ist der Nutzen solcher Auszeichnungen?
Wunderlich: Eines unserer Anliegen ist es, die gesamte Branche zum nachhaltigen Investieren voranzubringen und anderen Anlegern zu zeigen, dass es gar nicht so schwierig ist, ökologische, soziale und ethische Aspekte in der Kapitalanlage zu berücksichtigen. Wir sind ein verhältnismäßig kleiner Investor und möchten andere dazu ermutigen, sich ebenfalls auf den Weg, hin zu einer nachhaltigen Geldanlage, zu begeben. Die Auszeichnungen zeigen uns, dass unsere Arbeit positiv aufgenommen wird. Und außerdem wirkt so ein Preis auch nach innen und belegt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Woran erkennt man gut aufgestellte nachhaltige Investmentportfolios?
Wunderlich: Das ist wohl die Königsfrage, auf die viele Investoren gern schon heute eine universelle Antwort hätten. Wir alle streben mit unseren Investments gern nach Perfektion – und auf einmal kommen gesetzliche und regulatorische Vorgaben, die wir vorher nicht hatten. Jeder Investor sollte sich klarmachen, dass diese neuen Vorgaben ein erster Schritt sind und nur die Pflichtaufgaben umfassen. Wie man seine Kür gestaltet, entscheidet man selbst.
Und wie operieren Sie bei den Hannoverschen Kassen?
Wunderlich: Wir haben für sämtliche Anlageklassen, in die wir investieren, Kriterien für Nachhaltigkeit formuliert, deren Einhaltung für uns bindend ist. Die Beachtung von ESG-Kriterien – Environment, Social und Governance – bei der Bewertung von Investmentportfolios ermöglicht einen 360-Grad-Blick auf Unternehmen und Emittenten, was uns in die Lage versetzt umfassendere Anlageentscheidungen zu treffen, als es bei der reinen Betrachtung finanzieller Kennzahlen möglich wäre. Asset Manager, Finanzdienstleister oder Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten wollen, müssen einen klaren Fokus auf Nachhaltigkeit vorweisen und aus sich heraus transparent darüber berichten. Es reicht also für uns nicht aus, nur das Portfolio anhand der Ausschlusskriterien und der wirtschaftlichen Kennzahlen zu prüfen, um zu erkennen, ob es ein gut aufgestelltes nachhaltiges Portfolio ist. Das Gesamtpaket muss stimmen.
Die Kapitalanlage wird zunehmend komplexer. Abzulesen an der Anlagevielfalt, einem Mehr an Regulatorik und dem Aufkommen digitaler Assets. Welche persönlichen Kompetenzen erfordert die Berufswelt von morgen, wenn wir thematisch bei der institutionellen Kapitalanlage bleiben?
Wunderlich: Grundsätzlich ist es wohl das, was jeder institutionelle Investor bereits heute mitbringen sollte: Flexibilität, Offenheit, Ehrlichkeit und Teamgeist. Die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, in Projekten zu denken und Innovationen vorantreiben zu wollen. Und zu guter Letzt, der Wille sich stetig weiterzuentwickeln, sich mit anderen zu vernetzen und global zu denken. Gern würde ich persönlich natürlich sehen, dass jeder, der seine Passion in der institutionellen Kapitalanlage sieht, einen eigenen inneren Antrieb zum nachhaltigen Investment hat. Das wird wohl aber eher die Berufswelt von übermorgen sein.
Was war Ihr bislang ambitioniertestes Investment? Und hat es sich ausgezahlt?
Wunderlich: Unser ambitioniertestes Investment war der Bau einer Pflegeeinrichtung in Süddeutschland. Das Investitionsvolumen lag seinerzeit knapp unter der regulatorischen Grenze. Und die Entfernung zwischen Hannover und Singen (Hohentwiel) hat die Projektbegleitung zusätzlich erschwert. Das Projekt wurde nicht immer positiv gesehen. Durch unseren sehr guten Betreiber vor Ort, der das Heim jederzeit vorausschauend, innovativ und familiär führt, gab es entgegen aller anfänglicher Bedenken und Kritik bisher nur Positives zu berichten. Inzwischen ist es eines unserer Vorzeigehäuser. Wir sind stolz, der Eigentümer dieses Hauses zu sein. Ja, es hat sich ausgezahlt.
Wie entspannen Sie sich nach der Arbeit?
Wunderlich: Ich habe fünf Jahre alte Zwillingsmädchen. Die beiden halten mich auf Trab und bringen mich mit ihren ständig wechselnden Ideen zum Lachen und Nachdenken. Sobald die beiden schlafen, lese ich ein Buch, gehe joggen oder entspanne beim Yoga.
Welches Buch haben Sie mehrmals gelesen und warum?
Wunderlich: Während meines Studiums habe ich mich mit dem Buch „Deutschland 2030 – Wie wir in Zukunft leben“ von Horst W. Opaschowski beschäftigt. Mehrmals in Gänze habe ich es nicht gelesen, aber es ist eines der wenigen Bücher, in die ich immer mal wieder hineinschaue. Es ist faszinierend, was damals, im Jahr 2008, für Entwicklungen gesehen wurden, die bereits heute eingetreten sind. Und es bleibt abzuwarten, was sich bis 2030 noch entwickelt – ohne dass wir es erwartet haben.
Über die Interviewte:
Jana Desirée Wunderlich leitet die Abteilung Kapitalanlagen der Hannoverschen Kassen. Zu dem ethisch-sozial orientierten Unternehmensverbund gehören unter anderem die Hannoversche Pensionskasse VVaG und die Hannoversche Alterskasse VVaG mit einer Bilanzsumme von 469,1 Millionen Euro (Stand: 31. Juli 2020). Ursprung der Hannoverschen Kassen ist eine Pensionseinrichtung für Lehrkräfte an Waldorfschulen.
Die Fragen stellte Tobias Bürger, Bund Institutioneller Investoren, bii.
Bild: Nick Neufeld